Lost in Place

Lost, zu Deutsch verloren und verlassen. Place, zu Deutsch Ort, aber auch Platz im übertragenen Sinne. Was meine ich nun mit meinem Titel „Lost in Place“? Darum soll es in diesem Beitrag gehen. Gemeinsam mit Doreen bin ich auf eine Reise zur Ergründung des tieferen Sinns dessen gegangen. Beziehungsweise, es war unser Ziel …

Unweit von Dresden gibt es eine verlassene Fabrik, ein typischer Lost Place, wie man so schön sagt. Anders als auf Hashima oder in Prypjat wurde die Fabrik nicht plötzlich aufgegeben, sondern bewusst geräumt. Hier und da sieht man noch Überbleibsel der Vergangenheit, doch vor allem findet man hier eines: Leere. Wie auch bei Menschen, die verlassen wurden, fühlt es sich hier an, als fehle etwas. Und auch hier weiß man zwar, was fehlt. Ja, es fehlen die Maschinen und die Arbeiter, doch irgendwie fehlt da noch mehr. Es fehlt die Nicht-Leere, die sich nicht in Worte fassen lässt.

Die Suche nach der Nicht-Leere ist oft vergeblich. Denn je angestrengter man sucht, desto weiter entfernt man sich vom eigentlichen Ziel. Städte suchen nach Investoren für Industrieruinen wie dieser, und sie scheitern, leider. Umso größer die Anstrengung, desto größer die Enttäuschung, wenn es nicht klappt. Warum nur will niemand diesen tollen Komplex mit Leben füllen?

So ergeht es auch Menschen, die sich aus einem seelischen Loch versuchen zu befreien, sich immer wieder fragen warum gerade sie dort sind. Sie fühlen sich verloren und auch verlassen, ihr Platz ist nicht wirklich der ihre. Sie sind irgendwie „Lost in Place“. Umso mehr sie sich mit der Leere beschäftigen, desto mehr ergreift diese Leere Besitz von ihnen.

Nun könnte man meinen, dass allein schon der Versuch, selbst etwas zu ändern der Beginn des Scheiterns ist. Ist es nicht! Natürlich spricht da ein bisschen der unverbesserliche Optimist, der ich nun mal bin, aus mir. Doch gehen wir zurück zur verlassenen Fabrik. Interessenten kommen und gehen, aber nicht nur sie. Es kommen auch Vandalen, die zerstören, was noch so da ist; Fenster, Türen, Treppen. Sie sind wie die selbstzerstörerischen Gedanken, die einen verlassenen Geist quälen. Sie hinterlassen Spuren, Narben könnte man auch sagen. Wer kommt noch so? Fotografen, die sich des morbiden Charmes erfreuen. Sie haben einen Kodex und schaden meist nicht, aber sie haben einen anderen Effekt, zu dem ich später komme. Eine Entsprechung im Menschlichen will mir grad nicht so recht einfallen. Sprayer kommen natürlich auch vorbeigeschnuppert und hinterlassen ihre Kunst, die wiederum für einen ganz eigenen Charme sorgt. Ein Lichtblick ist die Natur. Sie kommt ebenfalls und nimmt sich, was ihr einst genommen wurde. Das ist durchaus schön anzusehen und vergleichbar mit der Selbstheilungskraft der menschlichen Seele. Sie musste niemand rufen, sie vollbringt ihr Werk von ganz allein. Und so kommen auch immer wieder Freunde des Weges, einer verlorenen Seele zu helfen, wieder zu erblühen. Man muss sie nur lassen. Natürlich wird nichts bleiben wie es war, es wird Veränderungen geben. Auch dazu muss man bereit sein.

Auch wenn alles verloren scheint, es geht weiter. Manchmal muss man gewohnte Pfade verlassen, um Erfolg zu haben. Ein kleines Beispiel. Die Heilstätten in Beelitz sind ebenfalls ein Lost Place. Doch eigentlich sind sie gar nicht mehr so verloren und verlassen. Es kommen jährlich unzählige Fotografen, teilweise mit einer ganzen Entourage im Schlepptau, nur um dort zu fotografieren. Es funktioniert, weil da jemand einen neuen Weg eingeschlagen hat und es zeigt, dass immer Hoffnung besteht. Fotografen, die den Verfall von Orten wie der Fabrik bei Dresden bildhaft festhalten und auch der breiten Öffentlichkeit zugänglich machen sind nicht nur eine mögliche Zielgruppe. Nein, sie helfen mehr oder weniger bewusst dabei, ein Vermächtnis zu erhalten. Ganz nebenbei findet sich auf diesem Wege auch hin und wieder ein Liebhaber, der nicht nur den blanken Eigennutz sieht, sondern eine Vision hat, die er mit Herzblut verfolgt.

So eine Person kann man nicht aktiv suchen, die findet sich von ganz allein. Die Schwierigkeit ist nur, sie auch zu erkennen. Meiner Erfahrung nach kommen Retter nicht in glänzender Rüstung auf einem Schimmel daher. Solche Menschen sind meistens wandelnde Masken und das wäre auch zu einfach. Das Leben ist aber alles, nur eben nicht einfach. Ist die Hürde des Erkennens überwunden und ein anfängliches Vertrauen aufgebaut, kehrt auch die Farbe wieder ins Leben zurück.

Fast nichts in dieser Welt klappt von Jetzt auf Gleich. Veränderungen brauchen Zeit, egal ob eine Vision, aus einem alten Gemäuer etwas Neues entstehen zu lassen, oder sich aus der inneren Leere zu befreien und den einen, kleinen Funken Hoffnung zu einem Feuer werden zu lassen. Geduld ist oftmals der Schlüssel zu nachhaltigem Erfolg, wie auch die Offenheit, dass Gewohntes durchaus Neuem weichen muss …

Doreen, ich möchte dir an dieser Stelle für dein Vertrauen und deine Freundschaft danken. Danke, dass du du bist.


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